Donnerstag, 29. Oktober 2015

Über das Reisen




Reisen kann man nicht beschreiben oder verstehen, bevor man es nicht selbst erlebt, das habe ich gelernt. Ich habe so viele Reiseblogs und Artikel in Deutschland gelesen, mich so gut vorbereitet, dass ich dachte ich wüsste schon wie das wird. Was für eine Illusion! Reisen ist einzigartig.

Im Judentum glaubt man, dass Schmetterlinge die freien Seelen der Verstorbenen sind und genauso fühle ich mich, wie eine Seele von Ort zu Ort fliegend, nur dass ich mich noch nie so lebendig gefühlt habe. Mit jedem neuem Ort kommen neue Muster und Farben und Formen auf meine Flügel, werden diese schillernder und detaillierter und ein Abdruck dessen, was ich erlebt und empfunden hat. Sie wachsen jedes Mal ein bisschen mehr und wenn man zurückblickt, kann man erkennen wie sehr einen ein Ort bewegt und beeinflusst hat, was er einem gegeben hat, was für ein Mensch man dort war. Emotionen beim Reisen sind so viel stärker, oder vielleicht kommt es auch nur mir so vor, aber manchmal fühlt man sich einfach so frei, dass man das Gefühl hat vom Boden abzuheben. Man ist nicht einfach nur glücklich, nein es ist wie eine weiß und golden leuchtende Kugel im Bauch die den ganzen Körper mit Wärme ausfüllt und einen blendet mit ihrem Licht. Oder in anderen Momenten fühlt man sich so lebendig, dass jeder Atemzug sich anfühlt wie der Erste und man die Luft und Energie in sich vibrieren und durchströmen spürt.
Man kann so high werden vom Leben, vom Moment man braucht gar keine Drogen oder Alkohol mehr, und genau das ist es, was ich am reisen so liebe. Einfach die Flügel ausbreiten und sich davontragen lassen vom Leben und der Welt und den Flügeln beim Wachsen zuschauen.
Der Körper des Schmetterlings allerdings bleibt gleich, denn man wird so sehr man selbst, dass die Umrisse, am Anfang verschwommen und wirr, mit jedem neuen Tag ein wenig schärfer und klarer werden, die Farben stärker und strahlender. Man legt seine Masken und Hüllen ab wie die Raupe den Kokon, denn es wird viel zu anstrengend diese aufrecht zu erhalten, und die Zeit mit anderen zu kurz für solche Spielchen.
Denn Reisen ist ein ständiger Wandel und die einzige Konstante, die man hat, ist man selbst, denn, wie sagt man so schön: Willst du dich selbst entdecken so bereise die Welt, doch willst du die Welt bereisen so schaue in dich selbst.
Das Leben wird plötzlich Möglichkeit eine surreale Mischung aus Freiheit und Möglichkeiten, überraschenden und inspirierenden Menschen, Kunst, Natur, Schönheit und Träumen die ihren ganz eigenen Geschmack auf der Zunge hinterlassen.
Man fliegt von Blume zu Blume saugt hier und da ein wenig von dem Nektar und verlässt diese wieder gestärkt. Doch manchmal wird der Nektar einer bestimmten Blume einen so berauschen, dass man jedes kleine bisschen gierig in sich aufnimmt und diesen trunken und voll später als erwartet wieder verlässt. Manchmal wird man sich in der Gesellschaft von anderen finden, eine Zeit lang zusammen umherfliegen um sich dann nach einiger Zeit wieder alleine auf den Weg zu machen, doch die Begegnungen bleiben wie kleine Fäden an einem kleben und tragen eine Erinnerung.
Doch Reisen sind nicht nur Regenbogenmomente und Sonnenscheingefühle manchmal wird es auch hässlich und frustrierend, ekelig und schmerzhaft.
Manche Orte hinterlassen schwarze, stinkende Flecken und Muster auf meinen Flügeln, hartnäckige kleine Biester. Es gibt Tage, da ist man so unendlich traurig, die lieben Menschen die man trifft zu verlassen oder man bekommt so starkes Heimweh, dass man förmlich zerfließt, ein großer grauer Ozean durchzogen von bleich-blauen Schlieren. Dann wieder ist man so wütend, wenn Dinge und Systeme nicht so funktionieren, wie sie sollten und man es möchte und man einfach niemanden findet der Ahnung hat oder einem helfen kann. Dann steht man da, aggressiv und unendlich frustriert weil man merkt wie hilflos man ist, dass man einfach nichts, NICHTS an der Situation ändern kann, man in dieser gefangen ist und keinen Ausweg findet. Das sind die unschönen Tage auf Reisen, wenn man durch stinkende Städte läuft, auf der Suche nach einem halbwegs annehmbaren Ort zum schlafen, wenn man an heruntergekommen Bahnhöfen und Busstationen warten muss, ununterbrochen angestarrt von zwielichtigen und unheimlichen Gestalten.
Ja, an manchen Tagen kann reisen wirklich zum Alptraum werden. Doch diese Tage sind in der Minderheit, sie sind sogar selten und wenn man zurückblickt, wird man sehen, dass diese schwarzen Flecken in dem großen Muster gar nicht mehr auffallen, dieses sogar ergänzen und in Schönheit erweitern. Hinterher ist man immer stärker, kann darüber lachen und um einiges selbstbewusster und stolz, dass man nicht aufgegeben hat.

Es gibt einige Arten sich selbst zu finden, man kann meditieren, therapieren, Selbstversuche durchführen oder eben reisen.
So schwer es auch ist den ersten Flügelschlag zu tätigen, so einfach sind der zweite und dritte und ehe man sich versieht ist man schon über neun Monate unterwegs und blickt zurück auf alles was man erlebt hat und ist einfach nur glücklich, dass man diesen ersten Flügelschlag getan hat.

You can't buy happiness but you can buy a planeticket and that's kind of the same thing.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen